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Der fluss der zeit
1.
l l1•1 1111111tl111 / ,l•ltJohn Jam it:son Carswell Smart, Thc Rivcr o fTirnc. in: Mind LVI II ( 1949) . S.483- .J9,I. Au, de m 1, ngfi ,
sehen iibersc1z1 vo n A ndrew Lihhy und Mikc Sa11dbo1hc.
D E R FLUSS DER ZE IT
Von JOHN J AMIESON CARSWELL SMART
Es gibt gewisse Metaphern, die wir uns normalerweise zu verwenden gezwungen fühlen, wenn wir über Zeit spreche n. Wir sagen, daß wir durch die
Zeit von der Vergangenheit in die Zukunft voran:;ehreite n, ähnlich wie ein
Schiff sich über die See in unbe kannte Gewässer vorwärtsbewegt. Manchmal wieder schwebt uns die Vorstellung vor, daß wir selbst stillstehen und die
Zeit ve rgehen sehen, so als ob wir auf einer Brücke stünden und den Blättern und Zweigen zuschaue n könnte n, die unter uns vorbei tre iben. Ereignisse [event], so denken wir m anchmal , sind wie diese Blätter und Zwe ige.
Sie kommen a us der Zukunft , sind vorübergehe nd in der Gegenwart und
entfernen sich dann immer weiter in die Vergangenheit. Statt also von unserem Fortschritt durch die Zeit zu sprechen, sprechen wir oft von dem
Fließen der Zeit. Manchmal führen wir diesen Gedankengang noch weiter.
Es gibt Fälle, in denen wir dazu ne ige n zu sagen, daß die Zeit in e inem gleichmäßigen Tempo flie ßt (vgl. Newton 1), während es andere Fälle gibt, in
denen wir sagen würde n, daß die Zeit manchmal schneller ±ließt als zu anderen Ze iten. ,,Heute", so möge n wir sagen, ,,ist die Z eil e infach ve 1flogen.
Ganz anders als gestern, als die Zeit zu schle ichen schien."
Diese metaphorischen A usdrucksweisen sind in einer Weise philosophisch
bedeutsam, wie es die meisten me tapho rischen Redeweisen nicht si nd. Sie
sind nicht das Ergebnis irgendwelcher wilder Höhenflüge der dichterische n
Phantasie , sondern sie sind für uns irgendwie natürlich . Auf den e rsten Blick
ist jedenfa lls schwer zu sehen, wie wir sie vermeiden könnten. ,,Die Zeit
trägt, wie ein immer vorwärts wogender Strom, alI ihre Söhne mit hinweg" ,
so lautet die Hymne 2 , und wir spüren , wie treffend diese Beschreibung
ist. ,,Ja", sagen wir zu uns selbst, ,,so ist die Z eit. Sie ist g enau wie e in
im mer vorwärts wogender Strom. Wie könnte man sie überhaupt besser
beschreiben?" Darüber hinaus haben sich diese Metaphe rn in philosophischen und naturwissenschaftlichen Werken e ingebürgert. Ich habe bereits
1
Isaac Newton, Mathematische G rund lagen der Naturphilosophie, De fin itionen
(Scholium), übersetzt von E. Dc llia n, Hamburg 1988, S. 44 [Anm. d. Hrsg.].
2
I. Watts, 0 God, our help in ages past ... , in : Hymns Ancient and Modern. For
Use in the Services of the Ch urch, Standard Edition, London , 1916, S. 134 [Anm. d.
Hrsg.].
107
auf' N<.:wton angcspiell, uml l ,ock<.: dcf'inic11 Daue r als „dahine ilende Ausdc hnung".:1 Mand1mal fin d<.: ! man die Me taphe r des Voranschreitens durch
die Zeit treffe nde r a ls die des 1-'lieBe ns de r Zeit. ln diesem Sinn schreibt Eddington (Space, Time and G ravitation, S. 51): ,,Ereignisse geschehen nicht,
sie sind e infach da, und wir treffen auf sie . ,D ie Formalität des Geschehens'
ist lediglich das Anzeichen dafür, da ß der Beobachter auf seine r Entclekkungsreise in die a bsolute Z ukunft des fraglichen Ere ignisses gekommen
ist." In ähnlicher Weise rührt die Philosophie von Mr.J. W. Dunne in
starkem Maße von der Idee der Reise durch die Zeit her.
Die Me taphern der Ze it als Fluß, der fließt , oder als Meer, über das wir segelr1, sind also sehr natürliche Metaphern . li·otzdem können wir nicht umhin
zu be merken, daß es sich um e ine Metaphe r handelt, obwohl wir oft versuchen, diese Tatsache dadurch z u verschleiern, daß wir Jargon verwenden.
Zum Beispiel wird manchmal behauptet - uncl zwar so, als ob es dabei um
eine de r härtesten der harten Tatsachen ginge-, daß die Zeit „irreversibe l"
sei. Nun, ich weiß, was es bede utet, wenn ein Wagen oder ein Zug irreversibel ist; wenn wir wollen , daß er jemals zu seinem Ausgangspunkt zurückkommt, müssen wir ihn a uf eine Kreisbahn schicken. U nd ich verstehe die
Behauptung, daß das Fließen eines Flusses irreversibel ist, während das
Fließen der Gezeiten es nicht ist. D ie Bewegung ist dasjenige, was reversibel
oder nicht reversibel ist. Zu sage n die Zeit sei irreversibel, bedeutet daher
bloß, unsere alte Metapher des Fließens der Zeit weiter auszuarbeiten. Dies
ist also ein Teil unserer Unzufriedenhe it in bczug auf die Zeit: Wir haben eine
Metaphe r, die scheinbar unvermeidlich ist, obwohl wir e rkennen, daß es
sich um eine Metaphe r handelt . Schlimmer noch: we nn wir sie einem Mindestmaß an ktitischer Überprüfung unterziehen, dann stellen wir fest, daß
sie eine Metapher ist, die uns leicht auf Abwege führen kann . Selbst die unkritischste Person wird vermuten, daß wir, wenn wir vo n der Zeit als einem
fließenden F luß reden, in einer irge ndwie illegitimen Weise rede n. ,,Die
Z eit, ein Fluß!" sagen wir zu uns selbst, ,,ein komischer F luß ist das. Aus was
für einer Flüssigkeit besteht er? Ist die Zeit eine Flüssigkeit? In der Tat eine
äußcfät eigenartige Flüssigkeit!" Dabei ist dies nur der Anfang unserer
Schwierigkeiten. Wir sind sogar noch stärker beunruhigt , wenn wir uns
fragen , wie schne ll dieser Fluß fließt . Wenn die Zeit e in fließender Fluß ist,
müssen wir uns die Ereignisse so denke n, daß sie Zeit brauche n, um fl ußabwärts zu treiben. Und wenn wir sagen „Heute velfliegt die Zeil schneller als
gestern", dann sage n wir, daß heute der Fluß über e ine längere Distanz floß,
als er es in der gleichen Zeitspanne gestern tat. Das heißt: wir postulieren
eine zweite Zeitskala, auf die bezogen das Fließen der E reignisse entlang
3 John Locke, Versuch übe r den me nschliche n Verstand, Bd. 1, Buch 2, Kapitel 14,
libersetzt von C. Winckler, Hamburg 41982 [Anm . d. Tlrsg.l.
2.
108.i (>h11 .l 11111ks o11 ( '111 ~w c ll S 11111rl
de r ersten Zeitdime nsion gemessen wird . ,, Heute", ,,morgen" und „geste rn"
werden systematisch me hrde utig. Sie können Positio ne n in der e rsten Zeitdimension repräsentieren, wie zum Beispie l in „Heute spielte ich Kricket,
und morgen werde ich es wieder spielen". Oder sie könne n Positionen in der
zweiten Zeitdimension repräsentieren, wie zum Beispiel in „Heute floß die
Ze it schneller als gestern" . Und es würde auch nichts helfen, zu sagen, daß
die Zeit immer in demselben Tempo fließt. Darüber hinaus gilt, daß wir geneigt sein werden , uns - genauso wie wir uns die erste Zeitdimension als
einen Fluß vorstellten - auch die zweite Zeitdimension als einen Fluß zu
denken. D ie Flußgeschwindigkeit des zweiten Flusses hat nun eine Änderungsrate [rate ofchange] gegenüber einer dritten Zeitdimension, so daß wir
e ndlos weiter frische Flüsse postulie ren können, ohne dabei besser zufriedengestellt zu werden. Früher oder später werden wir aufüören müssen , die
Zeit als einen Fluß zu denken . Fre iIich liegt unsere Schwierigkeit darin, daß
wir derzeit nicht sehr deutlich sehen , wie genau wir damit aufhören sollen .
Ein hiermit zusammenhängender Punkt ist der folgende: hinsichtlich der
Bewegung im Raum kann man immer fragen „Wie schnell ist es?" . E in
Schnellzug könnte beispielsweise 88 Fuß pro Sekunde fahren. Die Frage
,,Wie schnell fährt er?" ist eine sinnvolle Frage mit e iner bestimmten Anwort: ,,88 Fuß pro Sekunde." E s könnte sein, daß wir die Antwort de facto
nicht wissen, aber wir wissen, welche Art Antwort gefordert ist. Vergleichen
wir hiermit die Scheinfragen „Wie schnell bewege ich mich gerade durch die
Zeit voran?" oder „Wie schnell floß die Zeit gestern?". Wir wissen nicht , wie
wir es anstellen sollen, die Frage zu be antworten. Welche Art von Messungen sollen wir durchführen? Wir wissen nicht einmal, welche Art von
Maßeinheiten wir bei der Formulierung unserer Antwort verwenden sollen.
,,Ich schreite gerade durch die Zeit voran in e ine m Tempo von wie vielen Sekunden pro ... ?"- so könnten wir anfangen, und dann müßten wir aufhören.
Was könnte die Lücke möglicherweise füllen? Sicherlich nicht „Sekunden".
In diesem Fall wäre das höchste , was wir uns erhoffen könnten, die kaum
aufschlußreiche Be merkung, daß es in jeder Sekunde nur e ine Sekunde gibt.
Es ist also offensichllich , daß wir weder über die Zeit als e inen Fluß reden
könne n noch über das Fließen der Zeit, noch über unser Voranschreite n
durch die Zeit, noch über die lrreversibilität der Zeit, ohne dabei in der
großen Gefahr zu sein, ins Absurde zu geraten. Nichtsdestoweniger wenn
wir uns die Zeit denken, veranschaulichen wir uns diese als einen Fluß, der
an uns vorbe ifließt, oder als ein Meer, über das wir fahre n. Wie sonst sollten
wir über die Zeit nachdenken? Nun könnte man einwenden, daß wir eigentlich nie über die Zeit nachdenken, sondern nur übe rzeitlicheTatsachen, daß
es die Zeit gar nicht gibt und daß wir also nicht über sie nachdenken können.
Denn das Wort „Zeit" is t nicht in derselben Weise referentiell, wie „Sekunde" es ist, und diese zwei nicht in derselben Weise wie „Stuhl" . Ein sol-
chc r Hin wa nd i~l sowcil vOll ig 1'1111dic11. Unsere Schwie rigkeit e rgibLsich
siche rlich - zumindest te ilweise m1s unsen;r l lypost<1sier ung der Zeit, also
da raus, daß wir sie uns a ls e ine l;lüssigkc il de nken, a uf der Ereignisse
treiben . I ndessen bedeutet darauf hinzuweisen, für sich allein genommen,
noch lä ngst nicht, daß unsere Verwirrung damit: bereinigt wäre . Wir müssen
tiefer in die Sache e indringen. Wir müssen fragen , warum wir uns dazu genötigt sehen , in gerade dieser Weise die Zeit zu hypostasieren. Wir müssen uns
die Frage stellen: ,,Welche Merkmale unserer Rede über zeitliche Tatsachen
sind den Merkmalen unserer Re de über Flüsse analog?"
Zeitliche Tatsachen sind Tatsachen von „vor" und „nach" sowie von
Gleichzeitigkeit. Nun können wir grob sagen, daß es die E reignisse sind, die
vor- oder nacheinander bzw. gleichze itig miteinande r sind, und daß Ereignisse Geschehnisse sind , die Dingen [thing j passieren. Zum Beispiel wecl1selte die Verkehrsampel von Grün zu Gelb, und dann wechselte sie von Gelb
zu Rot . Es handelt sich hie r um zwei Geschehnisse, und diese G eschehnisse
sind Zustandsveränderungen de r Verkehrsampel. Das heißt: Dinge verändern sich [to change] , Ereignisse geschehen [to happen] . Die Verkehrsampel
wechselt die Farbe, aber von dem Sich-Verändern der Verkehrsampel kann
man nicht sagen, daß es sich verändert. Sagen, daß es sich verändert ode r
nicht ve ründcrL, heißt: Unsinn äußern. Entsprechend gilt, daß die Verkehrsampel weder geschieht noch nicht geschieht. Wir müssen ebenso der Versuchung widerste hen, das Wort „werden" (to become] zu m ißbrauchen. Die
Verkeh rsampel 1var grün und wurde rot , aber das Rot-Werden wurde nicht.
Ereignisse geschehe n, Dinge werden, und Dinge werden nicht bloß - sie
werden dieses oder jenes. ,,We rden" ist ein transitives Verb . Wenn wir anfangen, es intransitiv zu verwenden, können wir nur mit Ärger rechne n.
Daran liegen zum Teil die Unstimmigkeiten in \Vhite heads Metaphysik; man
vergleiche beispielsweise den Passus in >Process and Reality, (S. 111), wo er
sagt, daß wirkliche E reignisse [actual occasion] ,,werde n" .4 Broad (Scientific Thought, S. 68) ist auch der Ansicht, daß sich Ere ignisse nicht verändern..5 Aber e r behauptet, daß sie „werden" , womit er meint , daß sie encstehen. Diese Verwendung von „werden " ist e bensowenig anwendbar auf Ereignisse wie die gewöhnliche transitive Verwendung. Ereignisse entstehen
nicht, sie kommen vor oder geschehen . ,,Geschehen" ist keineswegs äquiva• Sniart zitiertWhiiehca<ls , J'rocess and Rcali ty. An Essay in Cosmology, nach der
Ersta usgabe. Cambridge 1929. D ie von Smart zitierte Stelle findet sich in der deutschen Übersetzung auf S. 162 (Prozeß und Realität. E ntwurf einer Kosmologie,
Z weiter Teil, Kapitel II/6, übersetzt von H. G. TToll, Frankfurt a. M. 1979) [A nm. <l.
Hrsg.].
s Charlie Dunbar Broa<l, Scientific Tho ughL, E rster Teil, Kapitel 2, London 1923
!Anm. cl . H rsg. ].
3.
I II.lohn J 11n11L•so 11 ( ' 111 Nw c ll S ,1111 11
1lt 1 1 11111 d1•1 /1 II
lent mit „entstehe n•', und wir würde n uns sehr in die Irre führen lassen,
wenn wir die zwe i Ausd rücke so verwendete n, als ob man sie wechselseitig
substituieren kö nnte. Wir können sage n, w;inn d ie S taatsgründung eine r
ne uen Re publik stattfand , und wir könne n sagen , daß die ne ue Republik zu
diesem Zeitpunkt e ntstand. Aber wir können nicht sagen, daß die Staats&
rründung entsta nd .
Mit welchen Wo rtarten kö nne n wir die Ausdrücke „sich verände rn" und
,.werden" verwenden? In der obigen gro b formulie rte n Feststellung habe ich
diese Frage dadurch beantwortet, daß ich sagte: ,.Dinge- nicht Ereignisse verändern sich ode r werden a nders.'· Zwar bin ich der Meinung, d<tß ge wisse
Philosophen - vor aUem White he ad und McTaggart - sich eine Menge übe rflüssiger Metaphysik e rspart hätten, wenn sie sich d iese Frage gestellt und
sich diese grobe Antwort gegebe n hätte n. Oe nnoch ist d ie Ant\vort. so wie
sie jetzt vorliegt, keineswegs zufriede nstellend. S ie we ist schon in die richtige Richtung . allerdings nicht deutlich genug. Wenn sie so im abstrakten
Sinn verwendet we rden , sind „Ding'· und „E re ignis" be klagenswert vage.
We lche Ausdrücke haben wi r gena u den „Ding-Ausdrücken" zuzurechnen,
und welche den ,.Ere ignis-Ausdrücke n"? lm gewöhnliche n Sprachgebrauch
ist eine Schlacht e in Ereignis . Denn wir könnten sagen , daß die Schlacht bei
EI Alamein d<ts e ntscheide nde Ereignis des Afrika-Feldzugs wa r. Au f der ande ren Seite könnte man sagen, ein Sieg sei ein Ere ignis, gleichfalls das Wechseln e ine r Verkehrsa mpel von Ro t zu Grün. Dies bringt zum Vorschein, wie
behelfsmä ßig die ge läufige Klassifikation vo n „Ere ignis-Ausdrücken" ist.
„Sieg" und „das Wechseln cler Verke hrsampe l von Ro t zu Grün" haben
sehr wichtige logische E igenschafte n gemeinsam, welche der Ausdruck
.,Schlacht'' - zumindest in manchen Verwendungen - nicht besitzt. So
kö nnen wir sagen „Die Schlacht wurde heftige r'· , nicht aber „De r Sieg
wurde he ftiger". Wir können zwar sage n „Der Sieg wurde wa hrsche inlicher"
oder „Der Sieg wurde voraussagbar". Aber Prädikate wie „wahrscheinlich"
besitzen Eigentümlichke ite n, die so offensichtlich sin d, daß sie jetzt nicht
speziell erwähnt werden müssen, d ie abe r mit den E igentümlichkeiten
einiger a nde rer sehr spezie ller Prädikate - nämlich „vergangen", ,,gegenwär tig" und „zukünftig" - verbunden sind. Mit diese n we rde n wir uns bald
befassen. ln ähnlicher Weise kann das Wechseln der Ve rkehrsampel von Ro t
zu Gr ün weder etwas we rden noch etwas bleibe n, wenn wir solche Dinge
wie wahrscheinlich, unmittelbar bevorstehend und vergangen ausschließen ,
die - wie ich soebe n e rwähnt habe - e twas e ige ntümlich sind. D ie logische
Gramma tik von „Schlacht" in „D ie Schlacht wurde heftiger" ha t a lso eine
Analogie zu der logischen Grammatik von „Ve rkehrsampel" in „D ie Verke hrsampel wurde grün''. Und diese Analogie fehlt Ausdrücken wie ,.vo n
Gr ün zu Rot wechseln" und „Sieg" . M an vergle iche auch „Reise" und „Ankunft". Die Re ise kann ange ne hmer ode r la ngweilige r werden , aber wir
kö nne n nichl sagl' ll , dul\ dtl' /\11k11 11 ll it gl'tlll dw11, wu1tk bzw. nichl wurde
ode r fo11dauc 1tc luw. nicht 10 11d a11l·11 c, e twas rn \Ci11 . Dieje nigen Philosophe n .il~o. d ie ihr De nke n im /\bstrnkte n be tre ibe n, die in Kategorie nsprache übe r „cre ignisse" , ,,Dinge'' und „ Prozesse" spreche n und dabei nie
ko nkre te Be ispie le gebe n, könne n für uns kaum verstä ndlich sein . Was
genau - so dürfen wi r fragen - ist e in Ere ignis?
Ve rgle iche n wir zwische n „Schlacht" und ,.Sieg" , zwischen „Re ise" und
,,A nkunft" und zwische n „einen Wettlauf la ufen" und „einen Wettlauf gewinne n" . Die Gege nüberste llung ist e ine zwischen zwei sehr unterschiedlichen Ausdrucksarte n. Sie ist- grob gesprochen - die Gegenüberste llung, die
Professor Ryle zwische n „Aufga be nwörtern" [task word] und „Leistungswör tern•· [achievement wordj gemacht hat. 6 Wenn d u einen Wettlauf gewonnen hast , hast d u nicht zwei Prozesse vollzoge n: (1) das Laufen des Wettlaufs und (2) das G ewinne n des Wettla ufs . Du hast e ine n Prozeß - nämlich
das Laufen - mit de m Ergebnis vollzogen , daß niemand vor dir wa r, als d u
das Endzie l erreicht hast. D u hättest möglicherweise gena u dieselben Bewegunge n machen und den Wettlauf verlieren können . Also dürfen wir nicht
sagen, daß „das Gewinnen" in dem Sinn de r Na me eines Prozesses ist, wie
„das Laufen" es ist. E benso dürfen wir weder sagen, daß das Ge winnen
et\vas ist, dessen D urchführung e inige Zeit da uert, noch daß es insta ntan ist.
D ie Differenz zwische n dem Gewinnen u nd de m Laufe n ist nicht die zwische n e inem Blitz und eine m Donncrgrollcn. Aristote lisch gesagt ist das G ewinne n e ine Aktualisierung und kein Prozeß . Dies gilt auch für das Sehe n
und das Verste he n im Gege nsatz zu dem Hinblicken und de m Zu-verstehenVersuchen. In der >Metapliysik, (1048 b , 30-34) betont A ristote les gerade
dieses Argument. ..Sehen" und .,verstehen" ste llt er „gehen" und .,bauen"
gegenü ber. Wir können sagen , daß wir mitten bei einem Spazie rgang oder
bei eine r ß au<1rbeit sind , aber was würden wir denken, we nn jema nd sagen
würde , daß er halb damit fertig sei zu sehen , daß das Tinte nfaß schon umgefa lle n sei oder daß er bald damit fertig ge wesen sein werde, e in gewisses
Argume nt zu verstehen? Um das in die Wor te von Profe sso r Ryle zu fassen:
A ktua lisierungen, a nders als Prozesse, ,,kö nnen datiert , a ber nicht mit der
Uhr ge messen we rden" .
Ich habe auf diese Unte rscheidung a ufmerksam gemacht, weil ich me ine,
daß sie dabei hilft, die Verwendung von Ausdrücken zu verdeutlichen wie
..ging" in „D er Ball ging ins Tor", ,,ankam'' in „Der Apfel kam ;im Bode n
an·', ,,wechselte" in „Die Verkehr sampel weebselle vo n Ro t zu Grün"
und „stimmte übe re in" in „Der Ste rn stimmte mit de m Fade nkreuz des
Fe rnro hrs übere in" . Normalerweise würde n wir nicht sage n, daß sich das
110
6 G il bert R yle. De r Begriff des Geistes, Kapitel V/5, übe rsetzt von K. Baicr, Stuttgart 1969 , insbes. S. 199ff. (Anm. d . Hrsg.).
4.
112John Jamieson Carswell Smart
Ins-Tor-Gehe n des Balls veränderte bzw. nicht veränderte oder daß das
Übereinstimmen etwas wurde bzw. nicht wurde oder daß das Ankommen
des Apfels am Boden in irgendeine r Weise sich änderte bzw. nicht ä nderte.
Wir müssen „sich verändern" und „werden" eher mit „ankommen" und .,gewinnen" vergleichen als mit „reisen" und ,,kämpfen" . Fälle von Veränderungen, von Werden, von Anfangen, von Enden, von Erreichen , von
Treffen, von Berühren und von Übereinstimmungen sind wie Siege, Ankünfte und das Schießen von Toren, indem sie Dinge sind, denen wir zwar
ein Datum geben können, jedoch keinen Live-Kommentar, nicht einmal
einen infinitesimal kurzen Live-Kommentar.
Veränderungen - so habe ich gesagt - ebenso wie Ankünfte und Siege verändern sich weder, noch verändern sie sich nicht. Jemand könnte dies vie lleicht leugnen und behaupten: ,,Selbstverständlich verändern sich Veränderungen, genauso wie Veränderungen von Veränderungen und Veränder ungen von Veränderungen von Veränderungen das tun ... D ie Differentialrechnung spricht ständig von Veränderungen von Veränderungen." Ein solcher Opponent sollte innehalten und darüber nachdenken. Es sind nicht Veränderungen von Veränderungen, die sich verändern . Es sind Änderungsraten {rate of change/, die sich verändern. Nun wird „Änderungsrate" unter
Bezugnahme auf Veränderung defi niert, hat aber ganz andere logische
Eigenschaften als diese. Natürlich könnte man zweifellos spezielle Verwendungen erwähnen, bei denen wir sagen, daß Veränderungen sich verändern.
Denn die Sprache ist ein flexibles Instrument, und wir dürfen nicht erwarten, daß Wörter nie in einer gewissen Weise verwendet werden . Zum Beispiel könnten wir uns ein Idiom vorstellen, bei de m wir sagen „Das Grauwerden seines Haares wurde erheblich rapider". Der Gebrauch von „Grauwerclen" in diesem ldiom verhält sich zu dem Gebrauch von „grau werden"
in „Als ich ihn wieder traf, stellte ich mit Verwunderung fest, daß seine
Haare grau geworden waren" ungefähr so wie sich der Gebrauch von „Gewinner" in „Er wh immer wie der Gewinner a us [he ivas winning all the
way]" zu eiern Gebra uch von „Gewinner" in „Er war der Gewinner" verhält.
„Er sah immer wie der Gewinner aus" bedeutet soviel wie „Er war die ganze
Zeit vorne und es war ganz offensichtlich, daß er der Gewinner sein würde".
Das heißt: ,,Gewinner" ist hier in einer raffinierteren Wci.sc verwendet als
bei „Er war der Gewinner" oder „Er wird bestimmt der Gewinner werden" .
Wir müßten e inem Kind erst beibringen, wie man „Er war der Gewinner"
verwendet, bevor wir ihm beibringen könnten, wie „Er sah im mer wie der
Gewinner aus" zu verstehen ist. In ähnlicher Weise würde in einem solchen
Idiom wie „Das Gramverden seines Haares wurde schneller" das Wort
,,werden" bei seinem ersten Auftreten in einer anspruchsvollere n \-Vcisc verwendet, als das bei seinem zweiten Auftreten der Fall ist , oder in einer anspruchsvolleren Weise, als es bei „Er w urde wütend" der Fall ist. Ich möchte
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hie r zwar nicht vorschre iben, wie die Me nsche n „sich verändern" zu ~-erwe nde n haben , aber ich möchte sie docl1 dazu a uffo rdern, sensible r für Anderunuen im Gebrauch dieser Wörte r zu werden, denn die Philosophen
schein~n bisher nicht se hr sensibel gewesen zu sein. D ie traditione lle Kategorie „Ere ignis" ist bei weitem zu umfassend.
. .
.
E in Wort wie „Schlacht" läßt sich nicht leicht kategons1eren. Es gibt gewisse Unterschiede zwischen der Verwendung von „Schlacht" in (l) ,,Die
Schlacht bei Hastings fand am 14. Oktober 1066 statt" und seiner Verwendung in (2) ,,Die Schlacht bei H astings wurde heftiger" . Denn a uch wenn die
zwei Verwendungen viele Ähnlichkeiten haben, ist „Schlacht" in der ersten
Verwendung analog dem „Wechseln der Verkehrsampel von Rot zu Grün"
und „Sieg", und zwar in e iner Hinsicht, in der seine zweite Verwendung e her
zu „Verkehrsampel" a nalog ist. Das heißt , daß in der zweiten Art von_ Kontext „Schlacht" einige der E igenschaften eines Substanzwortes anmnunt.
Diese D iffere nz im Gebrauch wird sichtbar, wenn wir über folgende Feststellung nachdenken: ,,Die Schlacht hei Hastings fand am 14. Okt.ober 1066 statt
und wurde heftiger, als die Sonne am Himmel aufstieg." Ist da nicht etwas
Falsches an e iner solchen Verbindung? Wir möchten den Satz etwa so umformulieren : ,,Die Schlacht bei Hastings begann am Vormittag des 14. Oktober
1066 und wurde heftiger, als die Sonne am Himmel aufstieg.·' Man könnte
meinen, daß diese Umformulierung zwar eine Verbesserung darstelle, daß
sie aber bloß eine Frage des Stils sei. Ich möchte anregen, daß dies nicht bloß
eine Frage des Stils ist, sondern daß die stilistische Angemessenheit e ine logische Angemessenheit widerspiegelt.
_ .
Fassen wir nun - nur für unsere jetzigen Zwecke - A usdrücke wie ehe foloenden in eine Klasse zusammen: ,,Veränderung" und „Werden" (wie bei
dem Beispiel der Verkehrsampel) , ,,Sieg" , ,,Ankunft", ,,Übereinstimmen
von Stern und Fadenkreuz", ,,Aufprall", ,,Anfangen", ,,Aufhören " usw. und
„Schlacht" in der Verwendung (1), nicht aber i.n der Verwe~dung (2)._Alle
diese Ausdrücke zeigen dieselbe logische Eigenschaft, nämlich, daß siegewöhnlich nicht in Verbindung mit dem Verb „sich verändern" ver.wendet
werden können. freilich unterscheiden sie sich in anderen ihrer logische n
Eigenschaften . Es ist o hne Zweifel nur für den vorliegenden Auf~atz_zweckmäßig, sie als einem logischen Typus zugehötig zu betrachten. Dies ,s~ aber
kein Anlaß zur Bekümmerung. Alle Typenklassifikationen sind relativ auf
nur oewisse
Zwecke ' auch wenn manche Zwecke selbstverständlich
wichb
...
tioer als andere sind . Typenklassifikationen weisen auf gewl5se Ahnltchk;iten der logischen Grammatik hin, während sie Unterschiede unberücksichtigt lassen, die in anderen philosophischen Kontexten vielleicht nicht
übersehen werden sollten. D ie meisten Philosophen würden in der Regel
recht gern „der Stuhl" und „der Tisch" in dieselbe Kategorie aufnehmen,
aber diese Wörter haben nicht in allen Hinsichten genau dieselbe Logik. Man
5.
114llS
Jo hn Jamicson Carswcll Smarl
Ik r I1111ll de r '.l.cit
kann be ispielsweise in bezug auf einen Stuhl d ie verständliche Frage „Wie
groß ist sein Sitz?" stellen, nicht aber in bezug auf e inen Tisch.
Jetzt kann ich die Weise, in der ich „Ereignis" verwende n möchte, dadurch bestimmen, daß ich sage, daß alle Ausdrücke der im letzten Absatz definierten Klasse Ereignisausdrücke sind . Wir werden daher sagen, daß
,,Schlacht" in der Verwendung (1) ein Ereigniswort ist, während es in der Verwendung (2) keines ist. Deme ntsprechend sind die Geburt, der Tod und die
Heirat einer Person Ereig nisse, ihr Leben aber nicht. Zwar denke ich, daß
dies einer der Weisen entspricht , in denen Philosop hen „Ereignis" verwendet habe n, aber ich denke nicht, daß sie es de utlich von andere n, weiter
gefaßten Verwendungsweisen , unterschiede n haben. 7
Wenn „E" ein E re ignisausdruck im eben genannten Sinn ist, wird „E geschah" immer sinnvoll und - wenn wir vorläufig die eigentümliche Verwendung von „sich verwandeln" ausschließen, nach der man von einem Ereignis
sagen kann, daß es sich aus dem Zukünftig-Sein [being future] in das Vergangen-Sein [being past] verwandelt - werden „E veränderte sich" und „E
veränderte sich nicht" immer unsinnig sein. Dasselbe gilt auch im Fall von
„E wurde . . ." für alle Einsctzungsoptionen außer für die Sonderklasse der
Optionen, d ie aus den Wörtern „vergangen", ,,gege nwärtig" u nd „zukünftig" sowie verwandte n Ausdrücken besteht. Ebensowenig können wir
etwas vo n der Art „E fing an" oder „E hörte auf" sagen. Wir können zwar
sagen, daß der Erste Weltkrieg am 4. August 1914 um M itternacht anfing,
aber nicht, wann der Anfang des Kriegs anfing, es sei denn, wir meinen mit
„der Anfang von" ,,den fr lihe nTeil von". Wenn wir irgend etwas in der Form
,, . .. verwandelte sich in .. . " oder,, . .. wurde .. . " oder,, .. . blieb . .. " sagen,
sagen wir, daß etwas eine gewisse Eigenschaft hatte und später entweder
eine andere Eigenschaft oder d ieselbe Eigenschaft hatte . Einen Ereignisausdruck wird man demnach nie in die erste Lücke einer solchen Satzform einsetzen. E rforderlich ist - so können wir sagen - irge ndeine Art von Ausdruck
der Fortdauer. Insbesondere können wir weder sagen, daß die Schlacht bei
Waterloo sich je mals in bezug darauf verändern wird, daß sie nach der Fran-
zösische n Re volutio n stattfand, noch daß s ie sich in dieser Hinsicht nicht verändern wird , denn d ies implizie rt, daß sie sich zwar so verändern könnte, es
aber in Wirklichkeit nicht tun wird. Es ist nicht fa lsch, sondern unsinnig, vorzubringen, daß es jemals zu einem Zeitpunkt wahr sein kön nte zu sagen, daß
die Schlacht nach der Französischen Revolution stattfand, und es zu einem
a nderen Zeitpunkt wahr sein könnte zu sagen, daß dies nicht so war. McTaggart drückt sich sehr irreführend aus, wenn er behauptet (Philosophical Studies , S.113)8 : ,,Ein Ereignis kann nie authören, ein Ereignis zu sein" u nd:
„Wenn N einmal früher als O und später als M ist, dan n wird es immer früher
als O und später als M sein und ist dies immer gewesen." Das würde bedeuten , daß Ereignisse sich nicht verändern. Mein A rgument ist aber, daß
sie sich weder verä nde rn noch nicht verändern . Der Begriff der Veränderung ist auf sie schlicht nicht anwendbar. McTaggart behauptete außerdem,
daß Z eit wesentlich Veränderung einschließt. Fre ilich gibt es einen Si 1111 , in
dem dies wahr ist , denn we nn nichts jemals anders als das werden wü rde , was
es vorher war, wenn D inge sich nie aus e inem Zustand in e ine n anderen verwandeln oder sich in ihre n Relationen zueinander verändern würden, dann
könnten wir nie eine Feststellung der Form machen „A wurde zu B , bevor C
zu D wurde" oder „x verwandelte sich aus A in B, bevor y sich aus C in D verwandelte" . Es gäbe keine Situationen, in denen die Wörter „vor" und
,,nach" verwendet werden kö11rtten. Trotzdem hatte McTaggart darin unrecht, daß er von d er zwar wahren, aber nicht aufschlußreichen Proposition,
daß d ie Zeit Veränderung (d. h. die Tatsache , daß Diuge sich verändern) einschließt, zu der Feststellu ng kam, daß wir zeitliche Ausdrücke nicht verwenden könne n, ohne dabei zu implizieren, daß Ereignisse sich verändern.
D adurch wurde er dazu verle ite t, genau die falsche Bede utung der durchaus
wahren Feststellung zuzuschreiben, daß wir sagen können, daß E reignisse
sich in bezug auf Vergangensein, Gegenwärtigkeit und Zu kü nftigkeit9 verändern können, d. h. , daß eine Feststellung der Form „E wurde . .. " Sinn
macht, wenn wir das Wort „vergangen" oder „gegenwärtig" in die Lücke
e insetzen.
Es ist daher nun unsere Pflich t, das soeben erwä hn te besondere Idiom zu
untersuchen, um die Sonderklasse von Ausdrücken zu berücksichtigen, mit
denen man legitimerweise einen Satz der Form „E wurde . . . " oder „E verwandelte sich aus ... in . .. " bilden kann. Diese Klasse von Ausdrücken besteht aus den Wörtern „vergangen" , ,,gegenwärtig" und „zukünftig" sowie
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Manche Philosophen behaupten, daß sie 111it „Ereignis" eine vierdimensionale
Entität meinen, zum Beispiel die Entität, deren Querschnitt von der dreidimensionalen Gestalt eines Mannes zu irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens umrissen wird.
Es ist nicht notwendig, sclu detailliert zu zeigen, daß diese Verwendung-wenn man
von einem Ereignis (in diesem Sinn) sagen kann , es sei veränderungsfähig beispielsweise entlang der Zeitdimension - sich stark von der unterscheidet, in der wir sagen
„die Verkehrsampel wechselte". Sie ist analog zu der Verwendung. in der wir sagen
„Die Landschaft verändert sich, je weiter nach Norden man fährt", und hat gar nichts
mit unserem jetzigen Rätsel zu tun . Es ist nicht der Fall, daß die Landschaft „sich
wirklich veränden", d. h., sie verändert sich nicht in dem Sinn, in dem die Verkeh rsampel wechselt. Sie ist einfach an eine111 Ort anders als an einem anderen.
8 Smart zitiert McTaggarts Aufsatz ,The Unreality of Time,, der zuerst 1908 in
, Mind<erschienen ist, nach dem Wiederabdruck in: John Ellis McTaggart, Philosophieal Studics, New York 1934. Die von Smart zitierte Stelle findet sich in diesem
Band, S. 69 [Anm. cl. Hrsg.].
9 Zur Übersetzung siehe: Anm. d. Hrsg. in diesem Band, S. 78 [Anm. d. Hrsg.].
6.
John Jamieson Carswell Smart1)(•1 111111\ <h.· r Zc:il
aus Wörtern wie „wahrscheinlich" und „unmittelbar bevorstehend" . Es ist
librigens e ine E igenschaft dieser Wörter, daß keines von ihnen dazu verwendet werden kann, die Satzform „die Verkehrsampel wurde ... " zu ergänzen. Ich werde ausschließlich die Fälle „vergangen", ,,gegenwärtig" und
,,zukünftig" behandeln. Die Erörterung von Ausdrücken wie z.B. ,,unmittelbar bevorstehend" und „wahrsche inlich" würde sich auf ä h nI iche Art darlegen lassen, obwohl die Darlegung komplizierter sein müßte . ,,Vergange n" ,
„gegenwärtig" und „zukünftig" sind die zentral wichtigen Ausdrücke, und
natürlich waren sie diejenigen, die McTaggart faszinierten.
Trügerische Ähnlichkeiten in der linguistischen Form existieren zwischen
Sätzen der unte n aufgeführten Klasse (a) und Klasse (b):
(a) ,,Die Verkehrsampel war grün und wurde rot ."
„Das Boot befand sich flußaufwärts, auf gleicher Höhe mit uns und
schließlich flußabwärts."
,,Die See war zuerst ruhig und wurde spät.;r aufgewühlt. "
,,Tommy war früher böse, aber er hat sich sehr verändert ."
(b) ,,De r Anfang des Kriegs war zukünftig, aber jetzt ist er vergangen."
,,Das Wechseln der Ampel von Rot zu Grün verwandelte sich vom Inder-Zukunft-Sein zum In-der-Vergangenheit-Sein ."
,,Die Heldentaten me iner Jugend entschwinden in die immer entferntere Vergangenheit."
„Dein Besuch beim Zahnarzt ist zukünftig, aber er wird vergangen
werden. "
Wenn wir sagen, daß das Bool „flußaufwärts war, auf gleicher Höhe ist, flußabwärts sein wird", sagen wir, daß die Gelegenheiten [occasion], zu denen
das Boot flußa ufwärts ist ,früher als diese Äußerung [utterance] sind, daß die
Gelegenheit, zu der es auf gleicher Höhe mit uns ist, gleichzeitig rnit dieser
Ä ußerung ist ut1d daß die Gelegenheiten, zu denen es flußabwärts ist, später
als diese Äußerung sind. Das heißt, daß eine Sprache entwickelt werden
könnte, in der keine zeit.liehen Copulae existierten, wir aber die Wötter
„früher als" , ,,später als" oder „gleichzeitig mit" in Verbindung mit einer
nichtze itliche n Copula und dem Ausdruck „diese Äußerung" venvenden
würden. Diese Sprache würde keine Wörter wie „vergangen", ,,gegenwäitig" und „zukünftig" enthalten. Zum Beispiel würde man „ist vergangen" mit „ist früher a ls diese Äuße rung" übersetzen.
ln „Das Sich-t1ußaufwärts-Befinden des Bootes isLfrüher als diese Äußerung, das Sich-auf-gleicher-Höhe-Befinden des Bootes mit uns ist gleichzeitig mit dieser Äußerung, das Sich-flußabwärts-Befinden des Bootes ist
später als diese Äußerung" sehen wir, daß „diese Äußerung" drei Male vorkommt und sich jedesmal auf dieselbe Äußerung bezieht. Auf der anderen
Seite können wir die folge nde Festste llung nicht in der gleichen Weise übersetzen: ,,Der Anfang des Kriegs war zukünftig, ist gegenwärtig und wird ver-
p.angen sein ." Wenn wir dies ve rsuchc11, da nn e rgibt sich: ,,Der An fang des
Kriegs ist spille r a ls irgende ine Ä ußerung, die früher als dicse„ist, er ist
gle ichzeitig mi t dieser Äußerung, und e r ist früher als irgendeine Außerung,
die sp~i te r a ls diese ist. " Wir können e in einfaches „diese A uße rung" nur
e inmal e inse tzen. Einst war es wahr, zu sagen „der Anfang des Kriegs ist in
de r Zukunft" oder „der Anfang des Kriegs ist später als diese Äußerung" ,
cl. h. , we nn eine Pe rson dies gesagt hätte, hätte es sich herausgestellt, daß sie
recht hatte. Später dann wurde folgende Feststellung wahr: ,,Der Anfang
des Kriegs ist gleichzeitig mit dieser Äußerung. " Noch später schli.;ßlich
wird folgende Feststellung wabr: ,,Der Anfang des Kriegs ist frü her als diese
Äußerung." Die drei „diese" beziehen sich jedoch auf verschiedene Äußerungen .
Das zeigt, wie irreführend es ist, sich das Vergangensein, die Gegenwärtigkeit und die Zukünftigkeit der Ereignisse als Eigenschaften zu denken,
selbst als relationale E igenschaften. E s zeigt, in welchem Maße „Dieses Ere ig nis war zukünftig und wurde vergangen" völlig anders ist als „Die Ampel
war rot und wurde grün".
Substanzen existie ren im Raum. Si.; sind miteinander in einer dre idime nsionalen Ordnung verbunden. E reignisse sind .in der Zeit. Sie sind miteinander in einer Ordnung von „früher" und „später" verbunden . ·wenn wir uns
nun Ereignisse als veränderlich denken, nämlich hinsichtlich Vergangrnsein, Gegenwärtigke it und Z ukünftigkeit, dann denken wir sie uns als Substanzen, die sich in einer gewissen Weise verände rn. Aber wenn wir Ereignisse vergegenständlichen , müssen wir, um einen Hauch von Konsistenz zu
bewahren, die Zeit verräumlichen . Aus „früher als" wird „weiter flußabwärts". Es ist nun leicht zu verstehen, wie die Illusion der Zeit als eines
Flusses, auf dem die Ereignisse entl.angtre iben, entsteht. Es gibt ei nc enge
syntaktische Ähnlichkeit zwischen unserer Rede von Flüssen und unserer
Rede von de r Zeit. Das he ißt, e benso wie „frühe r als" ist auch „flußabwärts
von" transitiv und asymmetrisch. 1ndem wir die Ereignisse vergegenständlichen und folglich die Zeit verräumlichen, verstärken wir diese syntaktische
Ähnlichkeit noch. Wir können sagen, daß die Syntax eines Teils unserer
Sprache sich „verschoben" hat. Und wir können selbstverständlich in unserer neuen Symbolsprache (mit unserer verschobenen Syntax) beliebig
lang we iter re den, solange wir innerhalb des Bereichs bleibe n, in dem a lle
unsere zentralen ß eg1iffe in dieser Weise „verschoben" oder verzerrt sind.
Die Schwierigkeiten fangen an der Grenze zwischen unserem verschobenen
System und de m a lten an, z.B. wenn wir „Ereignis" - mit Syntaxverschiebung, so daß es sich wie „Substanz" verhält -zusamme n mit „Zeit" - ohne
Syntaxverschicbung, so daß es [das Wort „Zeit" - Anm. d. Hrsg.] sich also
nicht wie „Raum" verhä lt, verwenden . D as Ergebnis ist dann Unsinn, wie
zum Beispiel „Wie schnell treiben E reignisse stromabwärts auf dem Fluß der
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117
7.
119John Jam icson Carswell Smart
Oc r Flull de r Zeit
Zeit?", d. h . ,,Wieviel Z eit 1 brauchen die Ereig nisse, um eine gewisse Distanz (Zeit2) im Fluß zurückzulegen?". In diesem Fall wird „Zeiti" im gewöhnlichen Sprachgebrauch verwendet und „Zeit2 " in der verschobenen
Weise.
Die verschobe ne Syntax ist ein inte ressantes sprachliches Phänomen und
liegt dem größten Teil der philosophischen Mythologie zugrunde. E s könnte
sogar zweckmäßig sein , ,,philosophische Mythologie" gerade als Beze ichnung für diese Art von Mythologie zu verwenden. Diese Mythologie ist in
gewisser Weise harmlos , wenn wir sozusagen eine rote Grenze um unsere
„verschobe ne" Rede herum zie hen und sorgfältig verme iden, sie mit unserer
nichtverschobenen Rede durcheinanderzubringen. Ein Vergleich kann dies
vielleic ht verdeutlichen. Nehmen wir einmal an, wir haben zwei Schachspieler, die sehr schwache A ugen, aber ein sehr gutes Gedächtnis haben . Sie
könne n, so dürfen wir annehmen, sehr gut erkennen, auf welchem Feld eine
Figur sich befindet und daß siez. B. gerade diagonal gezogen wurde. Abe r
sie können die Form der Figur nicht sehr g ut erke nnen; sie können dadurch,
daß sie sich die Form der Figur anse he n, nicht genau ausmachen, ob es sich ,
sagen wir, um einen Läufer oder einen Turm handelt. Solche Spieler
könnten sich daran gewöhnen, sehr oft die Figure n ausschließlich an deren
vorangegangenen Zügen zu ide ntifizieren. Sie könnten zu sich selbst zum
Beispie l sagen: ,, Diese Figur ist ein Springer, weil sie eben ein Feld vorwärts
und ein Feld diagonal gezoge n wurde." D as Gedächtnis, so können wir also
annehmen, gleicht zum größten Teil die Augenschwäche aus. Nun nehmen
wir einmal an, daß die zwei Spieler kurz unterbrochen worden sind und daß
einer bei de r Wiederaufnahme des Spiels das schatte nhafte Ding, das in
Wirklichkeit einer seiner Türme ist, für einen Läufer hält. Er wird es dann
diagonal ziehen. Der andere wird sich sagen: ,,Das ist ein Läufer, denn es
wurde diagonal gezogen. " Jetzt kiinnte das Spiel zwar völlig normal weitergehen , wenn aber die Spieler eine schriftliche Aufzeichnung zu Rate ziehen
würden , würde eine Diskontinuität zutage treten , nämlich die „Verwandlung" eines Turms in einen Läu fer. Außerdem könnte n die zwei Spieler andere vorschnelle Schlüsse gezogen haben. Da es nicht dre i Läufer geben
kann, könnten sie einen Läufer für einen Turm halten. Die Verwandlung
einer Figur führt zur Verwandlung anderer. Unsere Spiele r könnten sehr
wohl ein hervorragendes Spiel haben. Schwierigkeiten werden nur dann aufta uchen , wenn sie plötzlich sehr intensiv auf de n mutmaßlichen Läufer
schauen und sagen: ,,Das ist ein Turm" und dann damit anfangen, die Figur
von nun an wieder als eine n Turm gebrauchen zu wollen. Ode r wenn sie
unter Rekurs auf schriftliche Aufzeiclurnngen de n frühesten Teil ihres Spie ls
in Beziehung zu dem leil des Spiels setzen möchten, der auf die Unterbrech ung folgte.
Wenn wir vom Fluß der Zeit reden, sind wir wie diese Schachspieler. Was
könnten die Schachspieler machen? Sie könnte n vereinba ren, das Spiel in
vone inander getrennte „Spie le" a ufzuteilen, und z. ß. sagen: ,,Ich war im erste n ,Spiel' und Du im zweite n überlegen, und heim dritten waren wir ziemlich gleich gut." In ä hnlicher We ise können wir eine Gre nze um unsere verschobene Rede vom Fluß der Zeit ziehen und sicherstellen ; daß wir sie nicht
mit unserer normalen nicht verschobenen Rede durcheinanderbringen . Dies
ist das beste Ve rfahre n, wenn wir eine Hymne wie „Zeit, wie e in immer vorwärts wogender Strom" ge nießen wollen. Und es gibt keinen Grund, warum
wir eine solche Hymne nicht mit eine m klaren logischen Gewissen singen
sollten. Für die meisten Zwecke ist es jedoch weitaus am besten, unsere
Syntax überhaupt nicht zu verschie ben , weiterhin unsere Läufer als Läufer
und unsere Türme als Türme zu gebrauche n und die Versuchung zu vermeiden, die Ze it zu verräumliche n ode r die Ereignisse zu hypostasieren.
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