893.36K
Categories: literatureliterature religionreligion

Eine ganze "Bibliothe" statt eines Buches im Hinduismus

1.

• 21.11.2022: Eine ganze „Bibliothek“ statt eines Buches im
Hinduismus
• Religiöse Literatur in Südasien, Südostasien und Ostasien ist viel
komplexer und umfangreicher als das, was in den monotheistischen
Kontexten vorkommt
• Manche Texte gelten als „geoffenbarte“ Texte, von anderen sagt die
Tradition, dass sie von menschlichen Autoren stammen
• Anfänge reichen in vedische Zeit zurück (ab 1500/1200 v.Chr.) mit
Einwanderung der Arier/Arya [mit religionshistorischen Beziehungen
zur ältesten iranischen Religionsgeschichte / Zarathustra und Avesta)

2.

• 1. Shruti und Smrti – schriftlich und mündlich
• Autorität der shruti: Vedische Literatur mit Hymnen,
Brahmanas, Upanishaden, Sutren
• Gehörtes“ (shruti) als Gotteswort, daher nicht nur „Text“
sondern auch „Wort“ (vacana) als hl. „Schrift“ > „Rishis“:
z.B. Agastya, Bhrgu, Markandeya als „priesterliche Seher“
• Mündlichkeit vs. „Buch“
• Innerhalb einzelner Hindu-Richtungen verschiedene Zuordnung, was shruti / smrti ist
• smrti: „Erinnerung“ von „menschlichem“ Autor; dazu Epen, Dharmashastras, tantrische Texte; Agamas
• Sanskrit als „sakrale Sprache“ – Klang der Sprache, der Mantren ist auch
dann wichtig, wenn man den „Text“ sprachlich nicht versteht (d.h. hier
erkennt man wiederum die Wichtigkeit der Rezitation)

3.

• 2. Vedische Texte (shruti)
• „4 Samhitas“ = Hymnensammlung: Rig-Veda; Sama-Veda, Yajur-Veda,
Atharva-Veda
• Rig-Veda: 1028 Hymnen von traditionellen Barden / Priestern
(theologisch von „Rishis“, die den Rig-Veda von Göttern gehört haben); ca.
1500-1000 v.Chr.
• Eng mit dem Opferritual verbunden: dazu auch SV, YV als
„Kultlieder“, die sich an vedische Götter wenden
• Feuergott Agni, Gewittergott Indra, Morgenröte Usha, Surya
• Eng mit vedischen Hymnen und Opferritual sind auch die
sog. Brahmanas und Aranyakas als Handbücher für die
Durchführung der Rituale verbunden

4.

• RV in 10 Bücher geteilt, Buch 2 bis 7 sind älter, nach „Verfassern“
geordnet
• Stil:
• Hymnen (sukta) + Strophen (rc) + Vers (pada)
• Werke mündlicher Dichtkunst
• Weitere (früh)vedische Literatur
• Ritualbücher (Brahmanas)
• Opferspekulation (Aranyakas)
• Diese Texte leiten zur Reform der Religion in spätvedischer Zeit über,
was die Upanishaden ausdrücken (kurz vor der Mitte des 1. Jahrtausends v.Chr.

5.

• 2.1. Upanishaden
• Ab 5.Jh. v.Chr., sind Ausgangspunkt für indische Philosophie, aber auch für
Weltbild des Hinduismus bis zur Gegenwart
• Text, die das „Dahinterliegende“ sehen, erklären, mit Hilfe des „Fachmanns“
/ Guru / Lehrer; d.h. ohne diesen „Vermittler“ des Wissens kann man nicht das
religiöse Heil erlangen
• Neue Vorstellungen gegenüber dem vedischen Opfer
• Einheit von atman (Selbst) und brahman (das Eine)
• Lehre von Tod und Wiedergeburt und der Wirkung der Taten (karma)
• 12 „alte“ Upanishaden, die den 4 Samhitas zugeordnet sind
• ca. 300 Texte, manche aber sehr jung„Allah-Upanishad“ (17. Jh.), KhrishtaUpan. (20.Jh.)
• am ältesten sind die Brhad-aranyaka-Upanishad und die ChandogyaUpanishad (älteste Gedanken darin aus dem 7. Jh.v.Chr.) – vgl. Slaje 2009

6.

• 3. Dharma-Literatur
• Dharma: „Sitte der Guten / Gebildeten“
• (religiöse) Pflichten, Sühneriten, Initiation für
Dvija / Zwei-malgeborene
• Bedeutung des varna („Farbe“) = Stand (> Kaste)
• Manu-smrti (Michaels 2009) als sehr populärer
Text – mit vierteiliger Struktur
• a) Ursprung der Welt (1.1ff.)
• b) Quellen des Dharma (2.1-24)
• c) Stände und Lebensstufen (2.25-11.265)
• d) Tat und ihre Folgen (11.266ff.)
• Wichtig ist die Rezeption der Manu-smrti in den
sog. Nibhandas (ab 11.Jh.), in denen Regeln dieses
Buches – bis zur Gegenwart – popularisiert wurden

7.

• 4. Epische Texte (smrti)
• 3 große „Kompendien“
• Mahabharata
• Ramayana
• Puranas
• D.h. es ist „Erzählliteratur“, v.a. aus Kreis der Kshatriya („Kriegerkaste“)
• „Autoren“ sind Barden (suta) bzw. fahrende Sänger (kushalava)
• Thematisch nehmen sie wieder teilweise Bezug auf die Veden und das
alte Opferritual, überliefern auch lokale Strömungen der Volksreligion,
Gesellschaft
• Theoretisch als „religiöse“ Texte nur smrti, manche Texte dieser
Literatur sind aber oft populärer als die vedischen Texte, z.B. die
Bhagavad-Gita

8.

• 4.1. Mahabharata (von Simson 2011)
• 100.000 Doppelverse, Entstehung zwischen ca.300 v. und 500 n.Chr.
(Ende der Gupta-Dynastie): Kampf zwischen Kaurava- und PandavaFamilien, beide Nachkommen des Bharata (mythischer Ahnherr
Indiens);
• Zahlreiche Texteinschübe, am bekanntesten ist die Bhagavad-Gita
• Krishna lehrt darin unterschiedliche Wege zum Heil
• Kap. 1-6: Wert der pflichtgemäßen Tat (karma) und des (philosophischen)
Wissens (jnana)
• Kap. 7-12: Bedeutung der Gottesliebe (bhakti)
• Kap. 13-18: Gemeinsame Bedeutung alle drei Bereiche, vgl. 18.47ff.
• Ziel der Bhg. ist ebenfalls, die Einheit des atman mit dem brahman zu
fördern (s.o. Upanishaden), allerdings ist das brahman hier mit dem
personale Gott (ishvara) identifiziert

9.

• 4.2. Ramayana
• Ist deutlich kürzer als Mahabharata (nur 24.000 Doppeverse) und die
Erzählung in den 7 Büchern ist auch viel kompakter
• Valmiki gilt als „Autor“ / „Kunstdichter“, Kern der Erzählung dürfte in
der 2. Hälfte des 2. Jh. n.Chr. Ungefähr jene Form erreicht haben, die
wir heute kennen
• Rama wird zu Unrecht aus der Herrschaft
vertrieben, besiegt den Dämon Ravana, der
Ramas Frau Sita entführt hat; endet mit Wiedereinsetzung Ramas als König
• Text in Indien, Südostasien populär
verbreitet Hindu-Ideale, Ideologie

10.

• 4.3. Puranas
• wörtlich „alte Geschichte“: Im Mittelpunkt jedes der (alten) 18
Puranas steht ein besonders verehrter Hindu-Gott
• 18 (alte) Puranas, zw. 300 und 800 n.Chr.
• Rel.-gesch. wichtig, weil darin Entwicklungen des Hinduismus gut
sichtbar
• Texte zeigen auch Volkstümliches, sind auch bei Frauen, Shudras
beliebt, die Veden nicht studieren
• In der Theorie sind die Puranas (und die ganze epische Literatur)
wesentlich geringer geschätzt als die vedische Literatur, aber manche
Erzählungen sind für das religiöse Leben und Wissen wichtiger als die
„anspruchsvollen“ Upanishaden als „Heilige Schrift“

11.

• Literatur
• D. Killingley: Sacred Texts, in: D. Cush u.a. (Hg.): Encyclopedia of Hinduism,
London 2008, 704-713.
• C.-A. Keller: Heilige Schriften des Hinduismus, in: U. Tworuschka (Hg.):
Heilige Schriften. Eine Einführung, Darmstadt 2000, 144-166.
• Übersetzungen
• M. Witzel / T. Goto: Rig-Veda. Das heilige Wissen. Erster und zweiter
Liederkreis, Frankfurt 2007.
• W. Slaje: Upanischaden. Arkanum des Veda, Frankfurt 2009.
• Axel Michaels: Manusmrti. Manus Gesetzbuch, Berlin 2009.
• Georg von Simson: Mahabharata. Die große Erzählung von den Bharatas,
Berlin 2011.
• Peter Schreiner: Visnupurana. Althergebrachte Kunde über Visnu, Berlin
2013.
English     Русский Rules